Wow, ich bin grad über Titanic auf diesen Artikel in der Zeit gestoßen, in dem sich Susanne Gaschke (in einem für die Zeit erschreckend boulevardesquen Stil) über den Untergang der Kultur durch Pirate Bay auslässt. Wie immer in letzter Zeit werden Per Olov Enquist, der neben Henning Mankell einer der populären Gesichter der Anti-Pirate-Bay Bewegung in Schweden ist und sich letztens in der SZ über die angeblich/anscheinend durch Produktpiraterie enstanden Einbußen beim Hörbuch-Geschäft beklagte, und J. K. Rowling als Beispiele ihrer bedrohten Art angeführt.
Daß es auch Schriftsteller gibt, die anscheind vom Klauen ihrer Werke profitieren, wird wieder nicht erwähnt. Ich berichtete hier schon vor einiger Zeit über Paulo Coelhos positive Erfahrungen mit BitTorrent. Sehr zu empfehlen sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Cory Doctorow am Anfang seines Buches Someone comes to town, someone leaves town (wie alle seine Bücher kosten- und DRM-frei als Ebook zu haben). Beide Autoren, Coelho und Doctorow, sehen freie Ebooks als ein Mittel, daß ihre gedruckten Buchumsätze steigert und sie gleichzeitig in Ländern der Welt bekannt macht, in denen ihre Bücher noch nicht im Laden erhätlich sind (und natürlich nicht nur dort).
Zurück zum Zeit-Artikel. Von Pirate Bay und Google-Krake wird dann geschwind ein Bogen zur aktuellen Netzzensur-Debatte geschlagen, was ja wohl praktisch impliziert, daß die Autorin erwartet, daß die Sperrlisten auf Bittorrent-Tracker etc. ausgeweitet werden. Ich glaube hoffe, ich verstehe den folgenden Absatz irgendwie nicht recht: Frau Gaschke sieht Kinderpornographie ernsthaft als gutes Mittel / guten Vorschubgrund zur Einführung von Internetzensur an? Sie schreibt:
Förderlich für einen Klimawechsel ist auch die Initiative von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, in Kooperation mit großen Internetprovidern eine Kennzeichnung und Sperrung von Netzseiten mit kinderpornografischen Inhalten durchzusetzen. Nicht weil der Onlinediebstahl eines Henning-Mankell-Hörbuches moralisch in die gleiche Kategorie fiele wie der Konsum von Kinderpornografie. Sondern weil mit dieser Regelung ein beliebtes Argument ausgehebelt wird, das bei nahezu allen Rechtsverstößen im Internet auftaucht: Sperrungen seien technisch nicht möglich, und falls doch, dann seien sie für die Rechtsbrecher leicht zu umgehen. Wir dürfen jetzt festhalten: Sie sind möglich, und darauf, dass manche Nutzer sie umgehen können, kommt es gar nicht so sehr an. Entscheidend ist zunächst einmal, dass die Gesellschaft eine andauernde Rechtsverletzung ächtet.
Was soll das heißen? Zensur ist als Zeichen positiv zu bewerten auch wenn sie sinnlos ist und nicht funktioniert? Ich fasse es nicht. Wenn eine gesellschaftliche Ächtung, darin besteht – wie im Interview mit Christian Bahls aus dem vorigen Post so schön gesagt – einfach ein Tuch vor das Bild zu hängen, so daß jeder der will hingehen und das Tuch anheben kann, anstatt das Bild zu zerstören oder gegen den Maler vorzugehen, ist das blanker Hohn.
Natürlich muss für Künstler, Schriftsteller, Filmemacher etc. ein Weg gefunden werden, der Ihnen in Zeiten des Internets zu einer materiellen Werschätzung ihrer Arbeit und somit einer Lebensgrundlage verhilft, was ja für mich als jemanden, der sehr bald in diesem Sektor arbeiten wird durchaus auch eine Herzensangelegenheit ist. Das symbolische Zensurmaßnahmen keinem Kreativen Geld bringen, steht aber leider außer Frage. Genau wie außer Frage steht, daß nicht alle Nutzer von Pirate Bay nach der Sperrung von Birate Bay und diverser Alternativen wieder anfangen werden wie blöde überteuerte CDs und DVDs zu kaufen. Sollte nicht die Geschichte von Napster und anderen zu genüge gezeigt haben, daß wenn eine Filesharing-Technologie verhindert ist, irgendjemand eine andere erfindet? Das ist ein aussichtsloses Gefecht, Landratten.
Wie immer wäre es sinnvoller über die Umsetzbarkeit einer Kulturflatrate oder ähnlichem nachzudenken (hier und hier) als diese unsinnige Zensurdiskussion zu führen.
Dieser unsägliche Zeit-Artikel war für mich der endgültige Anlass mir ein Creative Commons T-Shirt zu bestellen und dem CC-Netzwerk beizutreten werden. Die Jungs und Mädels habe alle Unterstützung verdient, die sie kriegen können.
Update: Chaosradio hat sich auch mit dem Thema beschäftigt.
Update 2024: Link zum Artikel in der Zeit zur Archive.org-Version ohne Paywall und Werbespionage geändert.
One thought on “Die Zeit auf Abwegen”
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